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Debatte ohne Drama: So können Medien konstruktiv berichten
Die Qualität öffentlicher Debatten hängt stark davon ab, wie und über welche Themen Medien berichten. Für die demokratische Meinungsbildung sind verlässliche Informationen unerlässlich. Dramatisierung und Zuspitzung bringt allerdings häufig mehr Aufmerksamkeit und Reichweite. Wie können Medien gegensteuern? Ellen Heinrichs, Geschäftsführerin des Bonn Institute, über das Potenzial eines konstruktiven Journalismus.
Viele Debatten, aktuell etwa die zur Migrationspolitik, werden polarisiert geführt, Sachfragen erscheinen nachrangig. Medien bilden häufig nicht nur ab, sondern befeuern die Zuspitzung. Wie kann eine konstruktive Berichterstattung aussehen?
„Leider beobachten wir die Auswirkungen der Aufmerksamkeitsökonomie bei den Medien schon seit Jahren. Polarisierung, Dramatisierung und die Erweiterung des Korridors des Sagbaren – daran wirken Medien zum Teil aktiv mit. Es ist seit Langem gut erforscht, dass auch etablierte Medien dazu beigetragen haben, Donald Trump zu seiner ersten Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten zu verhelfen. Im vergangenen Jahr konnten wir diese Entwicklung erneut beobachten – mit bekanntem Ausgang. Und obwohl wir all das wissen und die Demontage der Demokratie in den USA gerade live mitverfolgen müssen, scheinen wir in Deutschland nicht daraus gelernt zu haben. Auch hier springen viele Redaktionen über jedes Stöckchen, das ihnen Populisten und Polarisierungsunternehmer hinhalten. Verantwortungsbewusst wäre es, hier öfter innezuhalten und nicht jedes wohl kalkulierte Aufreger-Thema medial weiterzuverbreiten.
Über diese Frage hinaus – also ob Medien überhaupt berichten – ist im nächsten Schritt das „Wie“ wichtig, also wie berichtet werden soll. Das Entscheidende aus unserer Sicht im Bonn Institute ist, dabei von den Mediennutzenden aus zu denken: Ist das Thema wirklich relevant für die Menschen beziehungsweise meine Zielgruppe? Liefert mein Beitrag den Wählerinnen und Wählern einen Mehrwert und hilft er ihnen, eine informierte Wahlentscheidung zu treffen? Und schließlich: Bringt er die öffentliche Debatte oder Entwicklung voran?“
Der Wahlkampf lebt von inszenierten Debatten (TV-Formate, personalisierte Streitigkeiten zwischen Politikern) – wie sollten sich Medien dazu verhalten, berichten oder nicht berichten?
„Ich würde mit der Frage noch früher ansetzen und überlegen: Sind diese inszenierten Duelle tatsächlich das beste Format, um die Wählerschaft über die politischen Lösungsvorschläge der Parteien und Kandidaten zu informieren? Oder sind sie oft nur Spektakel, die vor allem der Unterhaltung dienen? Ich finde, Produzenten und Redaktionen könnten hier durchaus kreativer werden und sich trauen, neue Formate zu entwickeln – solche, die genauso informativ wie unterhaltend sind, die aber nicht überwiegend auf Aggression und verbale Dominanz setzen. In Skandinavien gibt es dazu schon einzelne, vielversprechende Experimente. Im Übrigen würde ich mir hierzulande eine Diskussion darüber wünschen, ob die gewohnten Live-Debattenformate im Zeitalter von Social Media überhaupt noch tauglich sind. Denn schließlich verschaffen sie Lügen schon lange Reichweite, bevor der erste Faktencheck veröffentlicht wird.“
Das Gespräch von Alice Weidel und Elon Musk auf X hat Diskussionen in und über Medien ausgelöst: Wie sollen sie mit Personen umgehen, die gezielt Falschinformationenverbreiten?
„Ich finde es bedenklich, dass eine Debatte auf X, die in der Spitze gerade einmal um die 200.000 Zuschauer hatte, durch mehrere Dutzend Agenturmeldungen aufgewertet wurde. Natürlich haben die etablierten Medien das Thema dann erst recht aufgegriffen, und so erhielt selbst absoluter Blödsinn eine enorme Reichweite – weit über die ursprüngliche Plattform hinaus. Und wie das mit Falschinformationen so ist: Es gibt immer einige, die das gerne glauben möchten. Und es gibt andere, die es zwar nicht glauben, bei denen sich diese Nachricht jedoch nachhaltig festsetzt. Die Psychologie nennt das den Illusory Truth Effect: Wenn wir eine Aussage mehrfach hören oder lesen, wird sie vertrauter – und unser Gehirn läuft Gefahr, diese Vertrautheit mit Wahrheit zu verwechseln – selbst dann, wenn wir wissen, dass die Quelle nicht verlässlich ist oder die Aussage objektiv falsch ist. Beim Bonn Institute sind wir der Meinung, dass Medienschaffende dieses psychologische Basiswissen bereits in der Ausbildung vermittelt bekommen sollten, um später verantwortungsbewusst handeln zu können.“
Social Media-Netzwerke folgen nicht den journalistischen Regeln. Medien sind aber häufig von Social-Media-Reichweiten abhängig. Wie kann man dort reüssieren, ohne die eigenen Standards aufzugeben?
„Die Netzwerke amerikanischer Tech-Giganten sind weder die Zukunft des Journalismus noch gut für unsere Demokratie. Darauf mache ich mit vielen anderen Kultur- und Medienschaffenden über die Initiative #SaveSocial (https://savesocial.eu/) aufmerksam. Wir wünschen uns von der Politik konkrete Schritte zur Förderung und Stärkung alternativer und weniger schädlicher Netzwerke, damit wir im Internet wieder den demokratischen und vielfältigen Diskurs führen können, von dem wir einst geträumt haben, als Social Media aufkam. Heute jedoch ist klar: Wir müssen uns das freie Internet zurückerobern. Redaktionen sollten dazu beitragen, indem sie ihre Ressourcen nicht überwiegend in Plattformen US-amerikanischer und chinesischer Tech-Konzerne investieren, die den ungehinderten Zugang erschweren und von Nutzenden persönliche Daten verlangen.
Abgesehen davon sehe ich für Medienorganisationen keine rosige Zukunft auf diesen Plattformen: Informativer Content wird dort zunehmend zurückgedrängt, Hass und Hetze kaum Einhalt geboten und Monetarisierungsmöglichkeiten werden drastisch eingeschränkt. Ich rate Medienunternehmen dringend, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie auch ohne Google, X, Meta und TikTok in Zukunft sichtbar bleiben.“
Unsere Gesellschaft erlebt eine Zeit der Polykrisen mit täglich schlechten Nachrichten. Wie können Medien die Menschen dennoch erreichen?
„Medien müssen sich bemühen, das verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen, indem sie die Menschen wirklich in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen: Was treibt die Leute um? Welche Informationen brauchen sie, um in einer zunehmend unübersichtlichen und für viele überfordernden Welt gute individuelle Entscheidungen zu treffen? Daher machen wir uns im Bonn Institute für Lösungsorientierung und Perspektivenvielfalt stark. Gerade in schwierigen Zeiten ist es Aufgabe der Medien, das ganze Bild zu zeigen – eben auch Entwicklungen, die Mut machen, und Menschen, die Lösungen finden.
Hinzu kommt, viele Menschen fühlen sich von etablierten Medien nicht gesehen – dazu gehören junge Leute ebenso wie hier lebende Menschen mit migrantischen Wurzeln, auf dem Land, in Ostdeutschland, weibliche oder queere Mediennutzende. Journalismus, der sein Potenzial voll ausschöpfen will, sollte diese Gruppen nicht übersehen, sondern ihnen ernsthafte Angebote machen. Das darf gerne in jeder Redaktion anders aussehen, denn glücklicherweise gibt es in Deutschland immer noch eine große Medienvielfalt. Aber alle Medien sollten einen Grundsatz verinnerlichen: Die Zukunft des Journalismus liegt nicht in Social-Media-getriebener Reichweite, nicht in neuen Technologien, sondern in inhaltlich relevanten Angeboten für Menschen, die nach vertrauenswürdigen Informationen, nach Orientierung und Unterstützung suchen, um ihren oft anstrengenden und von Unsicherheiten geprägten Alltag zu bewältigen. Medien, die morgen noch relevant sein wollen, sollten sich daher ernsthaft Gedanken über die konstruktive Weiterentwicklung ihres Journalismus machen.“
Ellen Heinrichs ist ausgebildete Journalistin und Mediatorin, seit 2022 setzt sie sich als Geschäftsführerin des Bonn Institute für die Förderung und Vermittlung von konstruktivem Journalismus ein. Gesellschafter des Bonn Institute sind RTL Deutschland, Rheinische Post Verlagsgesellschaft, Deutsche Welle und das Constructive Institute aus Dänemark.“
